Zum Sektempfang ans Kap der guten Hoffnung
Der Jugendchor St. Nicolai Einbeck unter Leitung von Karin Salzer war wieder auf großer Tour: Diesmal ging es in einem zwölfstündigen Flug in den warmen Winter Südafrikas. Auf einer 14tägigen Tour von Kapstadt nach Johannesburg lernten die jugendlichen Sänger den Facettenreichtum, die Traditionen der schwarzen Bewohner und die herzergreifende Freundlichkeit der Menschen dieses atemberaubenden Landes kennen. Eine Reise, die dem Chor lange im Gedächtnis bleiben wird und nachhaltig sehr geprägt hat.
Es ist schon irgendwie eigenartig: Da sitzt man zwölf Stunden in einem engen Flugzeug, überquert sogar den Äquator, legt fast 10.000 km zurück und die Zeitzone bleibt dennoch dieselbe. Trotzdem betrug der gefühlte Zeitunterschied zwischen Südafrika und der Heimat mindestens acht Stunden, denn ausreichend Schlaf hatten im Flieger nur Wenige gefunden, als die Einbecker am frühen Morgen des 15. August in Kapstadt eintrafen. Am Flughafen wurde der Chor von Reiseleiterin Melle und Busfahrer Leon in Empfang genommen, die ihn in der ersten Woche bis Port Elizabeth begleiten sollten. Die Wetterbedingungen ließen es zu, dass als erstes die Besichtigung des Tafelberges in Angriff genommen wurde. Dass dieser Berg, dessen Gestalt an eine gedeckte Tafel erinnert, jedoch voller Tücken steckt, erfuhren die 42 Reiseteilnehmer, als man die Seilbahn bestieg: Wurde er in einem Augenblick in herrliches Morgenlicht getaucht, verhüllten im nächsten Moment dicke Wolken die Spitze des Wahrzeichens Kapstadts. Und so musste sich der Jugendchor mit eher getrübten Aussichten über die größte südafrikanische Hafenstadt begnügen.
Für den späteren Vormittag war ein Workshop in der deutschen internationalen Schule Kapstadt (DSK) mit dem dortigen Schulchor angesetzt. Unterstützt wurde der Schulchor durch einige Kinder aus einem Township. Schon nach kurzer Zeit des gemeinsamen Musizierens sprang der Funke des stimmgewaltigen Gesangs der jungen Schüler auf die St. Nicolai-Sänger über und man versuchte sich zusammen an Xhosa-Songs. Die Lieder begleiteten den Jugendchor während der gesamten Reise und wurden zu wahren Hymnen unter den Mitgliedern. Abends gestalteten die beiden Chöre ein Konzert, das beide Kulturen miteinander wunderbar verband, denn neben den Xhosa-Songs standen auch deutsche Volkslieder auf dem Programm.
In den folgenden Tagen erkundete die Einbecker Reisegruppe die Kapprovinz. Am Kap der guten Hoffnung hielt die Reiseleiterin eine besondere Überraschung in der Hinterhand, als sie nach dem obligatorischen Gruppenfoto zu einem kleinen Sektumtrunk – für die Jugendlichen in frischer alkoholfreier Form – am südwestlichsten Punkt des afrikanischen Kontinents einlud.
Die wohl prägendste und zugleich erschütterndste Erfahrung der Reise sammelte der Jugendchor beim Besuch des von der Berliner Mission initiierten lutherischen Zentrums „Themba Labantu“ in einem Township vor den Toren Kapstadts. Dort versucht der deutsche Missionar Otto Kohlstock seit mehreren Jahren den Menschen ein wenig Hoffnung zu geben im Kampf gegen Armut, Gewalt, Drogen und AIDS. Mehr als 40 Prozent der Bewohner dieser aus Wellblechhütten bestehenden „inoffziellen Siedlungen“ sind mit dem HIV-Virus infiziert und die Zahl steigt weiter. Durch Spenden aus Deutschland wird in „Themba Labantu“ eine Suppenküche finanziert, die täglich von über 200 Menschen dankbar angenommen wird. Außerdem bietet das Zentrum eine Krankenstation und einen Kindergarten. Auch die Einbecker wurden freundlich aufgenommen und nach einer kleinen Gesangseinlage auf der Krankenstation sorgte der Jugendchor beim anschließenden Konzert in der Kirche für wahre Begeisterungsstürme, als er unter anderem südafrikanische „Partylieder“ zum Besten gab. Lauthals forderten die Zuschauer eine Zugabe.
Nach dem Konzert deckte man sich mit Weihnachtssternen, Engeln und anderen Kleinigkeiten ein, die in mühevoller Handarbeit aus Perlen in dem Gemeindezentrum angefertigt werden und den Menschen als einzige Einnahmequelle dienen. Außerdem nahm der Chor mehrere Kartons dieser schönen Sterne mit nach Deutschland, um sie an die Berliner Mission weiterzuschicken. Einen Teil dieses idealen Weihnachtsbaumsschmucks wird es auch auf dem Einbecker Weihnachtsmarkt zu kaufen geben. Bepackt mit vielen Sternen und kräftezehrenden Eindrücken, aber mit dem Gefühl eine gute Tat vollbracht zu haben, verließ der Jugendchor „Themba Labantu“ und versuchte sich beim abendlichen Essen im „African Cafe“ ein wenig abzulenken. Ein Begegnung der kulinarischen Art mit dem „schwarzen Kontinent“, bei der insgesamt 17 verschiedene Speisen Afrikas angeboten wurden.
Tags darauf ging es auf einer 500km langen Bustour über Oudtshoorn nach Knysna. Oudtshoorn ist landesweit für seine große Straußenzucht bekannt und nach einem Rundgang über eine Straußenfarm wurden einige Chormitglieder zu mutigen Reitern dieser Riesenvögel. In Knysna, das schon mehrfach zur schönsten Stadt Südafrikas gewählt wurde, übernachteten die Reisenden in einem wunderbaren Hotel, das man gerne noch länger bewohnt hätte. Doch schon am nächsten Morgen ging es sehr früh nach Port Elizabeth, von dort mit dem Flieger nach Durban und mit dem Bus weiter nach Pietermaritzburg.
In Pietermaritzburg schließlich verbrachte der Chor zwei Tage bei Gastfamilien einer deutsch-englischen lutherischen Gemeinde. Man sang am Sonntagmorgen im Gottesdienst und gab abends vor vollem Haus ein abwechslungsreiches und stimmungsvolles Konzert, das von den Zuschauern mit stehenden Ovationen gewürdigt wurde. Der Pastor der Gemeinde, Horst Müller, machte sogar das Angebot, ob der Einbecker Jugendchor nicht die Lust verspürte, mit dem Kinderchor Pietermaritzburg eine gemeinsame Konzerttour durch Südafrika zu veranstalten.
Die zweite Woche der Reise stand ganz im Zeichen der Wildnis Südafrikas. Mit neuer Reiseleiterin Eva-Maria und neuem Bus machte sich Chor auf Erkundungstour durch verschiedene Wildreservate im Landesinneren. Zunächst besuchten die Bierstädter das „Shakaland“, eine Art Freilichtlichtmuseum, das aus den Filmkulissen der Fernsehserie „Shaka Zulu“ entstanden ist. Dort wurde ihnen die Kultur der Zulus näher gebracht, einem Volksstamm, der früher den Norden Südafrikas bevölkerte. Das zum Probieren angebotene Hirsebier wollte den Einbecker Gaumen aber dann doch nicht so recht munden. Dennoch hatte man viel Spaß bei Nachahmen traditioneller Kriegstänze.
Auf zwei Wildbeobachtungstouren in offenen Jeeps begaben sich die jungen Sänger im Hluhluwe- (gesprochen: „Schluschluwie“) und dem weltbekannten Krüger-Park, um Ausschau nach den „Big Five“ (Elefant, Nashorn, Leopard, Büffel und Löwe) und anderen tierischen Einwohnern Südafrikas zu halten. Dafür war sehr frühes Aufstehen angesagt, doch die Qual der kurzen Nacht zahlte sich voll aus. Man erblickte viele Tiere in voller Pracht – mit einem gewöhnlichen Zoobesuch war das nicht mehr zu vergleichen. Einige Mitglieder erspähten sogar alle großen Fünf der überaus schüchternen Lebewesen. Eine Seltenheit, wie die Wildhüter übereinstimmend feststellten. Insbesondere der Leopard ist ein fast unsichtbarer Zeitgenosse und nur äußerst schwer zu entdecken.
Bevor man allerdings den Krüger-Park erreichte, verließ man Südafrika für einen Tag, um das Swasiland zu durchqueren, eines von drei verbliebenen eigenständigen Königreichen Afrikas. Auf den ersten Blick ähneln sich beide Länder wie ein Ei dem anderen. Und gäbe es nicht die aufwendige Grenzüberquerung, könnte man fast meinen, Südafrika gar nicht verlassen zu haben. Bei genauerem Hinsehen jedoch stellte der Chor fest, dass Swasiland deutlich ländlicher geprägt ist als sein von drei Seiten angrenzender Nachbarstaat.
Zum Abschluss der Reise macht man Station in der Hauptstadt Pretoria, dem eigentlichen Ausgangspunkt der Reise. Denn hier lebt die Tochter des ehemaligen Hullerser Ortsbürgermeisters Herbert Müller. Durch sie entstand der Kontakt zu Kirchengemeinden und die Idee einer Tour ins südliche Afrika. In der deutschen Johannis-Gemeinde gab der Chor mit dem hiesigen Jugendchor ein Konzert, das leider nicht sehr gut besucht war. Am nächsten Morgen – dem letzten Tag der Reise – standen noch zwei Gottesdienste in der anderen luth. Gemeinde St. Peter an. Zunächst sang man im englischen Gottesdienst, der überwiegend von der schwarzen Bevölkerung besucht wird. Eine Erfahrung, die mit dem anschließenden Gottesdienst in deutscher Sprache oder dem Kirchgang in der Heimat nicht annähernd zu vergleichen ist. Die Menschen legten in Gesängen und Gebeten einen solchen Enthusiasmus für ihren Glauben an den Tag, dass die deutschen Reisenden sofort von dieser „Magie“ mitgerissen wurden.
Und wieder einmal wuchs der Jugendchor St. Nicolai musikalisch über sich hinaus. Trotz kleinerer Besetzung überzeugte das Ensemble mit präzisem Klang. Nicht zuletzt wegen der grandiosen musikalischen Begleiter Ellen Wolpert (Klavier) und Günter Tepelmann (Saxophon), aber auch durch hervorragende Solopartien einzelner Chorsänger genossen die zahlreichen Zuhörer jede einzelne Minute der Auftritte.
Was bleibt? Die Erinnerung an eine wunderbare Reise und die Erinnerung an prägende Erlebnisse, die auch gut zwei Wochen nach der Rückkehr noch nicht ganz verarbeitet sind. Aber das ist gut so. Denn von dieser Reise möchten die Teilnehmer noch lange zehren können. Das schaffen sie unter anderem mithilfe der gut 5.000 Fotos, die während der zweiwöchigen Tour geknipst wurden. Eine Auswahl der digitalen Eindrücke wird in den nächsten Tagen auf www.jugendchor-einbeck.de erscheinen. Reinschauen lohnt sich! Erste spontane Überlegungen für eine nächste Reise laufen bereits. Das Ziel: Namibia. Übrigens auch dieselbe Zeitzone.
Sven-Michael Salzer